Glaube recht verstanden

Aus dem Gemeindegruß August - November 2017
Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen
Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben,
nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben
(Joh 3,16). Was heißt denn nun dieses „glauben"? Soll
ich etwas für „wahr" halten, vielleicht sogar gegen alle
Vernunft? Ist das ein Willensakt? Eine Vermutung?
Glaube wird am besten als eine Beziehung beschrieben,
die auf Vertrauen beruht. Luther hatte auf Biegen und
Brechen versucht, sich die Liebe Gottes zu verdienen.
Daran ist er grandios gescheitert, denn je mehr er eiferte,
ja sich quälte, desto mehr wurde ihm die eigene
Unvollkommenheit bewusst. Wenn er ehrlich war,
musste er sich eingestehen, dass er der Liebe Gottes
nicht wert war, sie nicht verdienen konnte. Seine große
Erkenntnis: Gott liebt mich, so wie ich bin, in all meiner
Unvollkommenheit. Das ist die Botschaft Jesu. Wenn
ich nur ihm vertraue, mich völlig auf ihn verlasse, dann
wird alles gut.

Das Luthertum hat in der Folge versucht, das ein wenig
auszuführen und zu erklären. Es hat dazu die lateinischen
Begriffe notitia, assensus und fiducia verwendet,
zu Deutsch: Kenntnis, Zustimmung und Vertrauen. Um
jemandem zu vertrauen, muss ich ihn erst einmal kennen.
Wie soll ich Jesus vertrauen, wenn ich von ihm
nichts weiß? Es gilt also erst einmal, Jesus und seine
Botschaft kennen zu lernen. Was hat er gesagt, was
hat er vorgelebt, was hat er getan? Dazu bedarf es des
Studiums der Bibel. Aber selbst wenn ich alle Geschichte
über Jesus kenne, heißt das nur, dass ich ein
Gelehrter bin und führt nicht automatisch zum Glauben.

Ein zweiter Schritt muss hinzukommen: Ich muss der
Botschaft Jesu zustimmen, sie für wahr halten. Das ist
nicht allein ein Willensakt, sondern beinhaltet eine Geschichte.
Es gibt ja auch ein gesundes
Misstrauen. So vertraue ich bei weitem
nicht allen Versprechungen aus der Werbung,
weil ich oft genug hereingefallenbin. Auch nicht allen Menschen.
Nur ein kleines Beispiel:
„Du kannst dich darauf verlassen, dass ich
pünktlich bin!" Wenn ich aber mehrfach erlebt habe,
dass dieser Mensch nicht pünktlich ist, werde ich ihm
nicht glauben, das heißt: ich werde mich auf seine
Aussage nicht verlassen, sondern skeptisch sein. Ich
muss also erfahren, dass die Botschaft Jesu sinnvoll
ist, dass sie sich mit meinen sonstigen Lebenserfahrungen
deckt. Wenn ich glauben soll, dass Gott Liebe
ist, dann muss ich Liebe in meinem Leben als sinnvoll
erfahren haben. Wer Liebe nur für Gefühlsduselei hält,
wird der Botschaft Jesu kaum zustimmen können, sondern
ihn für einen Spinner und bestenfalls Gutmenschen
halten. Manchmal sind es auch Erfahrungen des
Gegenteils, die Menschen zum Glauben führen. Wer in
seiner Kindheit die Liebe der Eltern schmerzlich durch
Leistung verdienen musste, der kann eine solche Sehnsucht
nach bedingungsloser Liebe entwickeln, dass er
sagt: Genau, Jesus hat recht! Die Zustimmung zur Botschaft
Jesu ist also kein reiner Willensakt; etwas Heiliger
Geist, der in der eigenen Lebensgeschichte wirkt,
ist schon nötig.

Erst wenn Kenntnis und Zustimmung zusammenkommen,
kann sich der Glaube, das völlige Vertrauen entwickeln.
Diese Beziehung lässt sich nur beispielhaft
beschreiben, nämlich am Modell menschlicher Beziehungen.
Solches Vertrauen im zwischenmenschlichen
Bereich lässt sich fast täglich entdecken. Solches Vertrauen
muss haben, wer auf einem Motorrad mitfährt;
das eigene Leben steht völlig in der Hand dessen, der
das Motorrad fährt. Ähnlich beim Klettern: auch da
liegt das eigene Leben in der Hand dessen, der sichert.
Das also heißt „glauben": sein eigenes Leben ganz
Jesus anzuvertrauen.

Wolfgang Dörrich

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